Kapitel 10

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Am nächsten Morgen sah die Welt wieder anders aus. Gabriel streckte sich, ging auf den Balkon raus, weckte Anne mit einem Lied am Telefon und machte sich fürs Frühstück fertig. Er war froh früh schlafen gegangen zu sein und dass er schlussendlich doch nicht mit Marie aus war. Es wäre unnötig gewesen und hätte Anne nur zurecht geärgert. Er war froh musste er Marie nun ein paar Wochen nicht sehen. Es gab ihm die Zeit das ganze zu bearbeiten und zu vergessen. 

Nach dem Frühstück ging Gabriel einbisschen spatzieren um frische Luft zu atmen. Er überquerte den Alexanderplatz, schielte auf Maries Hotel und ging ins Einkaufszentrum. Am Eingang begrüsste ihn der Duft von frisches Gebäck und obwohl er gerade gefrühstückt hatte konnte er dem Geruch nicht wiederstehen. Er ging an die Theke und schaute sich die verschiedenen Brötchen, Pretzel, Kuchen und Berliner an. Alles sah so köstlich aus. Er nahm sein Handy raus, machte ein Bild und schickte es Anne. Was sollte er sich bloss aussuchen. Schliesslich entschied er sich für einen Berliner mit Vanilleüberguss. Er freute sich darauf wie ein kleiner Junge und öffnete auf dem Weg zurück zum Platz immer wieder die Tüte und roch am Gebäck. Er war so darauf konzentriert, dass er beim überqueren der Strasse in jemand hineinlief.

"Tut mir leid," sagte er schnell und schaute auf.
Von allen Menschen, die an dem Morgen um den Alexanderplatz unterwegs waren, all die, die es eilig hatten und zur Arbeit mussten, alle Touristen, die orientierungslos herumschauten, jung, alt, Kinder, Senioren, von all denen musste er ausgerechnet in Marie Wegener hineinlaufen!
"Wie kann das sein?" Fragte er sich und sah dabei Marie an.
"Was denn?" Lächelte sie. Ihre graue Augen strahlten, ihre Nase rot von der Kälte und sie schaute ihn amüsiert an.
"Nichts..ich.." Gabriel schüttelte sich und zwang ein Lächeln, "guten Morgen."
"Guten Morgen," lachte Marie in sich hinein, "gerade erst aufgewacht?"
"So was in der Art," antwortete Gabriel noch immer verwirrt.
"Ich geh mir ein Gebäck kaufen," erzählte sie strahlend, "im Einkaufszentrum gibt es eine Bäckerei mit den leckersten Sachen."

Gabriel hielt seine Tüte hoch: "great minds.."
"Think alike," vervollständigte sie den Satz, "vor lauter Sachen kann ich mich nie entscheiden."
"Ich verstehe was du meinst," lächelte Gabriel weiterhin gezwungen und schaute um sich herum. So viele Menschen und er läuft in sie rein!
"Du bist kein Morgenmensch, was?" Meinte sie.
"Wieso?"
"Du tust total seltsam!"
"Sorry," er schüttelte sich wieder, "ich habe bloss nicht erwartet jemanden zu kennen." Er schaute auf sich hinunter. Er trug immernoch die Klamotten, die er zum Schlafen benutzte - ein altes T-shirt, dem er den Kragen aufgeschnitten hatte, darüber einen verwaschenen grauen Hoodie, die Jacke darüber und untenrum eine alte Jogginghose ohne Unterwäsche darunter.   
Marie schaute ihn ebenfalls auf und ab. Die bärtige Frau erschien und zupfte an seiner Kaputze und Jogginghose und Gabriel suchte nach einem Thema um das unangenehme Schweigen zu brechen. 
"Komm," meinte Gabriel schliesslich, "ich helfe dir beim Aussuchen."
Gestern noch haben sie geflirtet was das Zeug hält und dann hatte er sie abserviert. Das mindeste was er tun konnte, war ihr gegenüber freundlich und höflich zu sein.
"Ich habe einen Vanilleberliner," erzählte er beim zurücklaufen und liess sie in die Tüte gucken.
"Oh, das sieht aber lecker aus!" Sie klatschte ihre handschuhbedeckte Hände.
"Wenn du dir was anderes aussuchst, können wir teilen und dann kosten wir zwei Sorten," schlug Gabriel vor.
"Denkst du ich kaufe mir nur ein Gebäckstück?" Lachte sie, "sehe ich aus als würde mir eins genügen?"
"Ich habe schon gefrühstückt," lachte Gabriel, "ansonsten würde ich mir auch mehrere kaufen."
"Ich würde in der Theke wohnen!" Lachte sie und sprang auf und ab als sie ankamen.
Gabriel lachte ebenfalls. Sie war süss und ihre Freude war ansteckend. Schlussendlich liefen sie mit einer Schachtel voller Gebäck aus dem Laden. Marie konnte sich nicht entscheiden und kaufte fast jede Sorte Berliner die es gab. Sie setzten sich auf einer Strassenbank am Alexanderplatz, hörten einem Strassenmusikanten zu und naschten ihr Gebäck. Sie unterhielten sich und lachten und merkten nicht wie die Zeit verging. Marie sprach ihn weder auf die gestrige Absage an noch flirtete sie wieder so auffällig wie gestern Nachmittag. Vieleicht meinte sie es wirklich nur freundschaftlich mit ihm und liess sich von seinem Flirten bloss mitreissen. Gabriel war es recht, er war derjenige, der fest vergeben war und er wollte eigentlich nichts weiteres als Freundschaft von Marie. 

Plötzlich kamen drei Mädchen auf sie zugelaufen.
"OMG, OMG, OMG!" Schrien sie simultan, "Gabriel Kelly und Marie Wegener!"
"Können wir Selfies mit euch machen?" Quitschte die Eine.
Gabriel und Marie waren sofort einverstanden und posierten für mehrere Bilder bis sich die Mädchen zufrieden gaben. Als sich die Mädchen wieder auf ihren Weg machten, platzten Gabriel und Marie vor Lachen. 

"Ich werde mich nie daran gewöhnen," lachte Marie.
"Absolut surreal," stimmte ihr Gabriel zu, "immer wieder aufs Neue."
"Und wie sie sich an dir hängen!" Lachte Marie weiter und klammerte sich an ihn.
Gabriel lachte und warf die Arme um sie. Sie lachte und zog sich die Mütze über die Ohren. Sie sah total niedlich aus in ihrer rosa Bommelmütze und den kalten, roten Wangen. Ihre Gesichter waren so nah aneinander, er konnte ihren warmen Atem an seinem Nacken spühren und das Parfum, dass sie benutzte riechen. Marie hielt den Kragen seiner Lederjacke zur Seite und schaute sich seinen Knutschfleck an. Wie ein Stempel an seinem Hals - "Eignetum von Anne Steiner." Gabriel schaute in ihr Gesicht und konnte ihr die Enttäuschung ansehen, als sie den Beweis an seinem Nacken sah. Eine Erinnerung daran, dass er für sie unerreichbar war. Er schaute auf die Schachtel der Beliner. Es war noch einer übrig.

"Isst du den noch," fragte er leise um die Situation zu lockern.
Marie schüttelte den Kopf.
"Komm," er nahm die Schachtel, kaufte einen heissen Kaffee und gab es dem Strassenmusikanten mit ein paar Euro, die er in der Tasche hatte.
"Du bist ein guter Mensch," lächelte Marie.
"Strassenmusikerfamilie," zuckte er die Schultern.
Marie nickte und atmete tief durch, "ich sollte gehen."

Gabriel begleitete sie zu ihrem Hotel. Es waren beide still und in Gedanken versunken. Was ist gerade passiert? Wieso war sie so enttäuscht? Sie wusste doch er hatte eine Freundin. Was war das Gefühl, dass in ihm hochkam? War es ein schlechtes Gewissen? War es Schuld? Oder war er ebenfalls enttäuscht?

Gabriel war verwirrt. Sie standen vor dem Eingang ihres Hotels und wussten nicht wie sich verabschieden.
"Hast du Blick auf den Platz?" Fragte Gabriel plötzlich.
"Ja," antwortete sie verlegen, "gleich da oben, Zimmer 206," sie zeigte auf ein Fenster im zweiten Stock.
"Gute Lage," meinte Gabriel.
"Ja," nickte sie.
"Na dann," sagte er und zupfte an ihrer Mütze.
"Na dann," lächelte sie gezwungen und drückte seine Schulter.
"Ich wünsche dir einen schönen Tag," lächelte er und kniff ihre Nase.  
Marie krümmte lachend ihre Nase, "schönen Tag," sie zog seinen Reissverschluss weiter hoch.
"Machs gut," er kam ihr näher und wusste nicht richtig was er tun sollte.
"Du auch," sie gab ihm ein flüchtiges Küsschen auf die Wange.
"Bis später mal," er gab ihr ebenfalls ein Küsschen auf die Wange.
Beide lächelten verlegen und wussten nicht wie weiter. Gabriel gab ihr ein weiteres Küsschen auf die zweite Wange und blieb ihr nahe. Marie zog an seiner Jacke und liess ihn so noch näher kommen. Sie atmeten einander eine lange Minute ein. Jeder von ihnen verwirrt und unentschlossen. Marie hob ihr Gesicht und kam mit den Lippen fast an seinen Nacken. Er konnte ihre Wärme spühren und ihm lief es warm den Rücken runter. Marie sah sich seinen Nacken an. Dieser Knutschfleck wieder. Gabriel merkte wo sie hinstarrte und schloss schuldig die Augen. Weder Marie noch Anne verdienten das hier gerade. Marie stiess sich von ihm weg.
"Tschüss," zwang sie ein Lächeln und winkte ihm zu.
"Tschüss," flüsterte Gabriel und räusperte sich. 

Er stand noch eine ganze Weile nur da und weigerte sich die Augen zu öffnen. Er wusste, der ganze hormonelle Zirkus würde vor ihm stehen und ihn anstarren und er wollte noch nicht Wahr haben, was gerade geschah. Er verspührte Maries Blick am Fenster und ging um die Ecke, damit sie ihn nicht mehr sehen konnte. Auf die Wand gelehnt atmete er tief ein und aus. "Du bist ein Vollidiot," sagte er zu sich selber und schlug den Hinterkopf an die Wand, "Vollidiot, Vollidiot, Vollidiot."

Er schaute um sich um. Anne durfte nie davon erfahren. Wozu auch? Sie wird eifersüchtig werden und er müsste ihr seine Liebe wieder Beweisen. Und  schliesslich ist nichts wirklich passiert. Nichts wovon sie wissen sollte jedenfalls. Er hob seinen Kragen hoch, steckte die Hände in die Taschen und ging zurück zum Hotel. 

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